Kirk Stoller, o. T., Foto: Saarländisches Künstlerhaus/Tom Gundelwein
Kirk Stoller, o. T., Foto: Saarländisches Künstlerhaus/Tom Gundelwein
25. April 2022

Eine kleine Sensation

Künstlerin und Kuratorin Anne-Marie Stöhr zeigt im Saarländischen Künstlerhaus eine Ausstellung mit fünf in den Vereinigten Staaten lebenden Künstlern.

Im Jahr 2018 hatte Anne-Marie Stöhr die Gelegenheit, eine Ausstellung im Buck Institute in Kalifornien zu kuratieren. Da das US-amerikanische Institut für Altersforschung in einem architektonisch spannenden Gebäude von I. M. Pei untergebracht ist, überlegte sie sich ein kuratorisches Konzept mit Künstlern, die sich sowohl inhaltlich wie formal mit Architektur auseinandersetzen. Die Teilnehmer wählte sie unter den Künstlern der Bay Area rund um San Francisco aus, die sie persönlich spannend fand. Die Idee zu einer Folgeausstellung kam ihr dann in Deutschland: „Weil die Ausstellung so gut wurde und wir uns angefreundet hatten, habe ich für Saarbrücken ‚Nomadic Structure‘ konzipiert,“ erzählt Stöhr.

Die große Entdeckung der Ausstellung findet sich gleich im ersten Raum. Dort zeigt Stöhr Arbeiten des 2020 jung verstorbenen Kirk Stoller. Stoller arbeitete mit hölzernen Fundstücken, die er zu skulpturalen Objekten zusammensetzte. Die gezeigten kleineren Arbeiten bestehen aus Holz mit unterschiedlichen Oberflächen, mal farbig lasiert, dann mit glatten Farbschichten zuckergussdick bezogen, dann wieder schrundig zersägt. Stark linear wirken die Objekte wie Zeichnungen im Raum.

Dazu passt Sabine Reckewells Installation wunderbar. In der hinteren Ecke des ersten Ausstellungssaales hat sie zwischen den beiden Wänden erst ein polygonales Linienspiel aus blauem Garn gespannt und dann darüber weiße Plastikbänder gehängt. Auch diese Arbeit erinnert an Zeichnungen im Raum, nimmt vorhandene Strukturen der Architektur auf und schafft tatsächliche und illusorische Volumina. Im Studio sind farbige Zeichnungen aus einfachen geometrischen Strukturen ausgestellt. Aufgrund der seriell gereihten Hängung entsteht ein vielfältiges Spiel. Die Motive erinnern an Versatzstücke von Landschaften, urbanen Räumen oder architektonischen Details. 

Scheinbare Räume entwickelt auch Blaise Rosenthal aus Kohle, Acryl und Erdpigmenten.  Rosenthal setzt in den Hintergrund einfache geometrische Formen und legt davor ein Netz aus zarten, fast schemenhaften Linienstrukturen. Dieser sehr einfache Effekt führt zu einer komplexen Komposition mit einem räumlichen Eindruck. 

Auch Andy Vogt arbeitet mit virtuellen Raumeindrücken. Scheinbar einfach täuscht die serielle Reihung von Formen aus Tusche auf dem Papier Dreidimensionalität vor. Außerdem sammelt Vogt Holzlatten aus Abbruchhäusern, die dort als Untergrund für den Wandputz genutzt werden. Die Latten sind auf einer Seite dunkel vergilbt, auf der anderen vom Gips hell eingefärbt. Aus seinem Fundus bedient er sich und formt flache Reliefs, die allein durch den Zuschnitt und die natürliche Farbgebung Raum, Licht und Schatten vortäuschen. Spannend ist die Vielfalt an Materialien, die er verwendet. Mit lichtoxidierenden Pigmenten auf Stoff schafft er genauso urbane Räume, wie aus Melamin und Gips auf Holz.

Ulrike Palmbach geht einen ganz anderen Weg. Die Installation „Overview“ besteht aus einer zarten Bleistiftzeichnung auf Musselinstoff. Es ist eine Ansicht auf einen Hügel des Mission District in San Francisco. Das Stadtviertel ist geprägt von Einwanderern, wurde in den letzten Jahren aber stark gentrifiziert. Trotzdem leben hier immer noch viele arme Menschen. Vor Bild steht ein kunstvoll aus Sperrholz, Baumwollflies und Teebeize hergestellter „Karton“, der an das Bett eines Obdachlosen erinnert. Künstlerischer Aufwand und Materialeindruck widersprechen sich. Das Kunstwerk ist eine Anklage gegen die Gentrifizierung unserer Städte, in denen es zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt und Menschen auf der Straße schlafen müssen. In ihren „Smokeclouds“ täuscht Palmbach mit Graphitpulver und Tinte auf Papier Rauchwolken vor. Vorlage für die Zeichnungen sind Fotos, die Palmbach bei einem Brand in der Nachbarschaft aufgenommen hatte.

Die Ausstellung ist eine kleine Sensation, weil sie nicht nur wunderbare Kunstwerke vereint, sondern sie auch perfekt aufeinander abgestimmt hängt. Dabei drängt sich der Eindruck auf, man hätte e s mit einer Künstlergruppe zu tun, die sich aufeinander abstimmt und unter einem gemeinsamen Manifest arbeitet. Tatsächlich sind Auswahl und Konzeption aber Kuratorin und Künstlerin Anne-Marie Stöhr zu verdanken. Stöhr gruppiert die Arbeiten nach Künstlern, weist aber geschickt auch auf Gemeinsamkeiten hin, in dem sie immer mal wieder Arbeiten der anderen Künstler dazwischen hängt.

Nomadic Structure, bis 15. Mai 2022, Saarländisches Künstlerhaus, zur Ausstellung erscheint ein Katalog

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